Dienstag, 5. November 2013

I'm A Survivor!

Vor über 50 Jahren begann eine große Einwanderungswelle, und zwar die der vielen kleinen Italiener, dann nämlich, als sie nach Deutschland wanderten.
Die Wahrscheinlichkeit, einen Italiener persönlich zu kennen ist demnach gegeben, wenn nicht sogar ziemlich hoch.
Einen Italiener persönlich zu kennen, hat nicht immer Nachteile, aber auch nicht immer Vorteile.
Es als Vor-oder Nachteil zu sehen, von einem Italiener z.B. zum Essen eingeladen zu werden (und das kann zu 99% schon mal vorkommen), bleibt nach dieser Geschichte jedem selbst überlassen.

Für die Wagemutigen, die glauben, sie seien stark genug, einen italienischen Abend schmerzlos zu überstehen, mögen vielleicht doch bitte die unten aufgeführten Überlebenstechniken sorgfältig durchlesen. An die Kinder da draußen: Bitte nicht nachmachen!

Betrachtet diese Zusammenfassung als einen kleinen Beipackzettel, wie bei verschreibungspflichtigen Medikamenten. Ich bin zwar kein Arzt und auch kein Apotheker, aber ich kann Geschichten erzählen und fange einfach mal an mit "Es war einmal..."

Es war einmal an einem Sonntag (im Jahr gerechnet sind es 52 Sonntage, um dies bildlich noch mal ALLEN vor Augen zu halten).
Sonntage sind bekanntlich dafür da, den letzten Rotz Arbeitswoche vom Bein zu schütteln und sich gedanklich "fit" für die kommende Woche zu machen (wie man den Sunday Blues ab 17:30 Uhr los wird, erzähl ich beim nächsten Mal).
Ebenso spült man an einem Sonntag den letzten Rest Alkohol vom Donnerstag, Freitag und Samstag weg und trinkt den ganzen Tag Tee, obwohl man nicht krank ist. Man hebt die Füße hoch während man das Telefon aus- und die Glotze einschaltet oder liest alternativ ein Buch, oder auch zwei oder drei (was interessiert es mich denn schon?!).
Meine Sonntage hingegen sind, wie alle 52 Sonntage im Jahr (ein "fast" hat hier leider keinen Platz gefunden), die abschließende Krönung einer bereits versklavten und mit Perversion gefüllten Arbeitswoche.
So sehr ich mich auf das Wochenende freue und darauf hinsteuere, als gebe es kein Morgen mehr, so stark drücke im Fred Feuerstein-Style auf die Bremse, wenn der Sonntag nur zu riechen ist.

Wer glaubt, an einem Sonntagmorgen, warme Brötchen, Konfitüre oder gar Spiegeleier aus der Küche von La casa di Mamma zu riechen, der sollte sich schleunigst kalt abduschen gehen!
Zwiebeln! Bam! Die werden als ersten in den bereits vorgeheizten Topf geworfen. Das Zischen der gerösteten Zwiebeln mit Öl ist das Signal, dass du aufstehen darfst/ kannst/ musst. Dein persönlicher Weckruf! Es geht nicht anders. Der "Duft"/ Qualm, der unweigerlich in dein Zimmer strömt, wandert direkt in deine Augen. Du bist wach!
Kurz darauf ballert la Mamma ein halbes Schwein in Form von Hackfleisch in besagten Topf, so dass es dem Zischen einen tiefen Unterton verleiht und ab da an, nie wieder aufhört. Spätestens jetzt ist es Zeit aufzustehen.
Die passierten Tomaten sind der nächste Schritt. Noch bevor meine Zahnbürste meine Zähne erreicht, blubbert es wie in der Hexenküche von Madame Mim. Es ist erst 9:00 Uhr. Buongiorno!
Die weiteren Arbeitsschritte aufzuzählen, würde bedeuteten, dass ich den Dunst einer Ahnung hätte, was eine Mamma von einem Topf in den nächsten wirft.
Bei Gott, ich habe keine Ahnung.
Wie beim Militär stattdessen, befolge ich jeden Befehl und decke gegen 12 Uhr den Tisch.
Erst lege ich die von Omi gestrickte und von Mutti gebügelte Tischdecke auf den Tisch. Die Servietten müssen gefaltet werden! Die Gabel links, Löffel in die Mitte, Messer rechts auf die Serviette. Die tiefen Teller müssen über die flachen Teller gestapelt werden. Si, si!
Vino. Diese spezielle Aufgabe darf nur der Maestro himself vorbereiten, der Don Papà nämlich. Ich darf die kleinen Weingläser, bicchieri da osteria oder trattoria (unter Italiener auch scianachirli, ausgesprochen Schanakirli genannt) an den Tisch bringen, mehr aber auch nicht.
Wassergläser? "Ha! Wasser? Wofür?" würde Don jetzt sagen "Um meine Eingeweiden damit zu spülen?!" Nun gut, dann eben nicht und zurück zum Text.
Nachdem das vollbracht ist, könnte man vor der Schlacht noch 12 Ave Maria beten, in der Hoffnung, dass der liebe Gott sich da oben erbarmt und dir eine zweite Magendecke schenkt.
Ich persönlich aber, habe aufgehört zu beten.
Es klingelt an der Tür. Kurze Schrecksekunde.
Vergesst Kalendereinträge oder den bestorganisiertesten Filofax der Welt. Ihr habt niemanden eingeladen. Und es findet auch keine Hochzeit an einem Sonntag in Eurer Wohnung statt. La Famiglia ist jetzt da! Tante, Onkel, Oma, Opa, Cousin, Freundin, Cousine, Freund, Schwester, Bruder, Neffe, Nichte, Hund, Katze, Maus (und einen Pferdeschwanz als Schlüsselanhänger).
Es kann also los gehen.

Liebe Leser, 
es folgt nun eine kurze Anleitung. Sollten Sie jemals eine Einladung bei einer italienischen Familie zugesagt haben, raten wir Ihnen, diese Schritte sorgfälltig zu lesen, zu verinnerlichen und zu befolgen.
Zu Ihrem eigenen Schutz sollten Sie vorher Ihre Lebensversicherung noch einmal überprüfen und sich vorsichtshalber von Familienmitgliedern und engen Freunden liebevoll verabschieden. Versuchen Sie niemals diese Anleitung zu modifizieren. Viele sind daran gescheitert. Bisher hat nur diese Anleitung am besten funktioniert.
Wir versichern Ihnen hiermit, dass ein striktes Befolgen dieser Anleitung Ihnen den bestmöglichen Schutz bietet und Ihnen somit ein Wiedersehen mit Ihren Lieben zu 50% garantiert.
Nichtsdestotrotz möchten wir Sie daran erinnern, dass nur Ihr Charme und Sympathie Sie an diesen Punkt gebracht haben. Versuchen Sie für Ihre Zukunkft, diese Eigenschaften abzulegen.
Wir wünschen Ihnen alles Gute bei Ihrem Abenteuer, sowie den Mut und die Kraft, alles unbeschadet zu überstehen.
Möge Gott Sie schützen.

Bevor Sie mit dem Verzehr beginnen, sind die folgenden vier Schritte unerlässlich:

Schritt 1:
Sie haben diese Einladung angenommen. Absagen ist ausgeschlossen. Frühstücken Sie an diesem Tag bloß nicht! Im Idealfall essen Sie 24 Stunden vorher nichts.

Schritt 2:
Sie befinden sich in der Nähe eines gedeckten Tisches. Kommen Sie nicht auf die Idee sich einen Sitzplatz auszusuchen. Warten Sie, bis man Ihnen einen Platz zuweist.
Vermeiden Sie beide Stirnseiten des Tisches. Warnhinweis ist die Flasche Wein. Auf dieser Stirnseite sitzt Don Papà. Neben Don Papà sollten Anfänger diesen Platz nicht annähernd in Erwägung ziehen (Alkoholmissbrauch und Übersättigung führen zu Schwindel und verspannter Muskulatur).
Der Stuhl in der Nähe des Ausgangs ist immer für die Hausherrin freizuhalten, um ihr den flüssigen Übergang der Speißen, von Küche ins Esszimmer zu gewährleisten.

Schritt 3:
Sie haben Platz genommen. Überprüfen Sie Ihren Standort. Lagern Sie Wasserflaschen unmittelbar in Ihre Nähe und vermeiden Sie direkten Blickkontakt zu Don Papà oder Mamma's Kochlöffel. Halten Sie Ihren Blick stets nach unten, auch wenn durch die Köstlichkeiten das olfaktorische und das nasal-trigeminale System anfangen zu interagieren und sich gegenseitig beeinflussen!

Schritt 4:
Um die verschiedenen Lebensmittel in die richtige Position Ihres Magens zu führen, sollten Sie eine gerade Sitzhaltung einnehmen. Lehnen Sie sich niemals zurück!
Atmen Sie zuletzt noch einmal tief ein und wieder aus.

Anleitung/ Überlebenstechnik

Es gibt drei Möglichkeiten dieses Fressgelage zu übersestehen. Doch um festzustellen, für welche Methode Ihr Körper am besten geeignet ist, müssen Sie mehrere Jahre praktische Erfahrungen sammeln, von denen aber aus gesundheitlichen Gründen abzuraten ist.

Methode 1: Turbogang (Profi-Level, mustergültig)
Diese Methode gehört zu den wohl gefährlichsten dieser Art. Böse Stimmen behaupten, dass man bei dieser Methode einen leichten Zwang zur Selbstverstümmelung haben muss, um diese Prozedur bis zum Ende durchzuziehen.
Bei der Methode Turbogang legen Sie alle Lebensmittel, die auf IhremTeller liegen, dirket in den Mund. Verzichten Sie komplett auf das Kauen, da es zu zeitaufwendig ist. Schlucken Sie alles runter, am besten mit Wasser.
Sobald Ihr Teller leer ist, beginnen Sie erneut die Lebensmittel auf Ihrem Teller zu stapeln. Profis langen von alleine zu, alternativ können Sie auch immer wieder "Ja" sagen, wenn La Mamma Sie fragt, ob es noch etwas sein darf. Warnung: Sagen Sie grundsätzlich immer JA wenn La Mamma Sie fragt, ob es noch etwas sein darf.
Achten Sie bitte darauf, dass Sie hierfür nur 20 Minuten Zeit haben, alle Lebensmittel mindestens einmal probiert zu haben. Danach schaltet sich das Sättigungsgefühl ein. Ihre Situation verschlimmert sich im Minutentakt.
Sie haben das Ziel erreicht, wenn La Mamma Sie anlächelt und den Satz kopfnickend mit "Bravo" beendet. Ernüchterung: Nur wenige haben es bis hier her geschafft.

Methode 2: Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen (mittlere Stufe, clever)
Diese Taktik wird sehr oft bei weiblichen Gästen beobachtet.
Achten Sie darauf, Ihren Teller nicht übermäßig voll zu laden. Streichen Sie jedoch sofort den Mini-Portion-Stil aus Ihrem Kopf. Sie befinden sich nicht in einem Gourmetrestaurant à la Rach! Ein gesundes Mittelmaß-Häufchen ist hier die beste Wahl. Ganz wichitig hierbei ist, dass das Essen einen Zentimeter Abstand zum Tellerrand haben muss, damit man genug Platz hat, das Essen hin und her zu schieben, um in der Mitte eine Mulde zu schaffen. Als Werkzeuge eignen sich Messer und Gabel. Stochern Sie auch ab und zu mit dem Werkzeug in das Essen, um niemals eine Pause vorzutäuschen. Bleiben Sie bloß immer in Bewegung!
Die Nahrung, die zeitweilig in Ihrem Mund wandert (benutzen Sie nur die Gabelspitze), verarbeiten Sie zu Brei. Kauen Sie wie ein Wiederkäuer mit 30.000 Kaubewegungen. Schlucken Sie im 15 Minuten-Takt.
Diese Technik wird zwar toleriert, da man Sie stets beim Kauen sieht. Jedoch wird dadurch die Nahrungszufuhr auf Ihren Teller verhindert. Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden Sie hierfür mit fiesen Blicken bestraft. Bewahren Sie Ruhe und machen Sie unbeirrt weiter.

Methode 3: Der Lethargiestratege (schwache Leistung, gewissenlos)
Diese Vorgehensweise wird von vielen genutzt, auch wenn es den Meisten leid tut. Doch für das eigene Wohl haben schon viele diesen teuflichen Plan gewählt, da man hierbei den Weg des geringsten Widerstands geht.
Nehmen Sie hierzu Ihren persönlichen Gast mit. Egal ob Lebensabschnittspartner, Nachbar oder einen wildfremden Menschen, den Sie kurz vorher auf der Straße gefunden haben.
Die Konzentration wird ausnahmslos auf ihn gerichet. Kümmern Sie sich nicht um Ihren Gast. Als Lethargiestratege besteht Ihre Aufgabe einzig und allein darin, das Festbankett auszusitzen und nichts tun zu müssen. Man könnte behaupten, Sie könnten Ihr Essen kurzweilig und wie ein ganz normaler Mensch genießen. Befolgen Sie jedoch aus Sicherheitsgründen immer Methode 1+2, am besten im Wechsel.
Bleiben Sie stark, auch wenn bei Ihrem Gast Lämungserscheinungen eintreten.
Sollte La Mamma Sie zufällig auffordern noch etwas zu essen, zeigen Sie mit Ihrem Finger konsequent auf Ihren Gast, immer! La Mamma verlagert umgehend ihre volle Konzentration auf den Gast und Sie sind aus dem Schneider.
Möchten Sie Buße tun, könnten Sie spätestens jetzt auf die 12 Ave Maria zurückgreifen.


Wir möchten noch mal dringend darauf hinweisen, dass Dauereinladungen zu Nebenwirkungen führen können.
In Folge einer Überdosierung, können folgende Wirkungen auftreten: Chronische Schwellungen, Pupillenerweiterung (Mydriasis), Fieber, Schwitzen, Blässe, Blaufärbung von Lippen (Zyanose), Übelkeit, Krämpfe, Herz-und Kreislaufstörungen, wie z.B. Herzrhythmusstörungen (Tachykardie, Bradykardie, kardiale Arrhythmie), Kreislaufkollaps, Bluthochdruck (Hypertonie) und Herzstillstand.
Außerdem können Schläfrigkeit, schockähnlicher Blutdruckabfall und Aussetzen der Atmung eintreten.
Eine erneute Einladung sollte erst nach einer Pause von mehreren Monaten erfolgen.





Die (selige) Giu*


Eine Hommage an die besten italienischen Eltern dieser Welt!
Don Papà und La Mamma!